Die Kunst zur Geschichte

„Es ist kalt“

Es ist kalt

Die Geschichte von

Argentina G.

Eigentlich lacht sie immer, wenn man an ihrem Verkaufsplatz in der Ottenser Hauptstraße vorbeikommt. Ruft ihren Lieblingskund*innen ein „süß“ hinterher oder wirft eine Kusshand. Dabei ist sie nicht immer gut drauf. Vielleicht versucht sie, sich selbst aufzumuntern – mit guter Laune. Denn die 49-Jährige steht unter permanentem Stress. Manch-mal hat sie Schmerzen, manchmal weiß sie nicht, wo sie die nächste Nacht verbringt und wie es überhaupt weitergeht. An ihrer Freude und ihrem Leid lässt sie ihre Kund*innen teilhaben. Das kann manchmal irritieren. Wenn sie zum Beispiel an einem Tag friert, am anderen Tag von einer Kundin eine richtig tolle Winterjacke bekommt – und am übernächsten Tag wieder frierend dasteht. „Die Jacke? Hab ich meinem Sohn gegeben“, sagt Argentina peinlich berührt, wenn man sie darauf anspricht. „Der friert auch.“

Selten genug, dass Argentina etwas zu verschenken hat. Seit acht Jahren lebt die Rumänin in Deutschland. Aber sie hat kein festes Dach über dem Kopf. „Ich habe kein Zuhause – nicht in Rumänien, nicht in Hamburg“, sagt sie und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie schläft reihum bei Verwandten – in der Angst, entdeckt zu werden, von deren Vermieter zum Beispiel. 

Heute morgen ist sie wieder mal um 5 Uhr morgens aufgestanden, weil der Vermieter gedroht hat, die Polizei zu rufen, wenn er sie noch mal erwischt. „Das ist Stress“, sagt sie und zieht das Wort so in die Länge, dass man spürt, wie belastend die Situation für sie ist. 

Auf diese Art hat Argentina tatsächlich schon häufiger die Bekanntschaft mit Polizist*innen gemacht. „Aber so nett“, sagt sie und lacht wieder. Sie haben ihr wohl – im Scherz – geraten, dass sie doch einfach heiraten soll, dann hätte sie keine Probleme mehr. 

Aber Argentina will auf keinen Fall einen neuen Mann. Sie hatte einen, und den hat sie sehr geliebt. Sie war 14 Jahre alt, als sie den damals 18-Jährigen zum ersten Mal sah: Sie arbeitete in ihrem kleinen Dorf an der Grenze zu Moldawien auf dem Feld. „Ich habe Diomed gesehen und mich sofort in ihn verliebt“, sagt sie. „Er hatte so schöne Augen. Ich habe gedacht: ‚Was für ein hübscher Mann!‘“ Diomed ging es genauso. Die beiden heirateten, obwohl die Eltern dagegen waren. Denn Diomed und Argentina hatten keine Ausbildung. „Wir hatten ein ganz hartes Leben“, räumt Argentina ein. Es blieb nämlich dabei, dass sie auf dem Feld arbeiten mussten. „Aber ich war sehr glücklich mit Diomed“, sagt sie und lächelt traurig. Immer hätten sie zusammengehalten, und er habe ihr immer geholfen, „auch im Haushalt“. 

Aber vor 22 Jahren ist ihr Mann an einem Herzinfarkt gestorben. Argentina war erst 27 Jahre alt, die Kinder neun und acht. Mehr schlecht als recht kam sie über die Runden. Über seinen Tod kam sie nie hinweg. Als ihre Kinder beide nach Hamburg gingen, folgte sie ihnen. Arbeit hat sie bislang noch nicht gefunden. Aber das wird noch was, glaubt sie. Und ihre Kinder und die Enkel*innen sind ihr ganzes Glück. „Süß“, sagt sie lang gedehnt, lächelt und legt beide Hände aufs Herz.

Argentina verkauft Hinz&Kunzt vor Denn‘s in der Ottenser Hauptstraße.

Noch mehr von Argentina:

Credits:
Text: Birgit Müller
Übersetzung: Irina Mortoiu
Foto: Mauricio Bustamante

30 Kunstwerke, geschaffen von 30 Hinz&Künztlerin:innen

Für weitere Informationen klicke einfach auf eines der folgenden Kunstwerke.

Am 22. November wurde ein Teil der Homeless Gallery zusammen mit zahlreichen Kunstwerken und Auktionslosen, die namhafte Künstler*innen gespendet hatten, versteigert. Mehr als 40.000 Euro kamen an diesem Abend für das Straßenmagazin Hinz&Kunzt zusammen.

 

Die Werke der Homeless Gallery, die im Rahmen der Auktion aufgrund der Vielzahl nicht unter den Hammer kommen konnten, können ab sofort über einen Auktions-Nachverkauf erworben werden.

Jedes Bild aus der Homeless Gallery ist ein Unikat, zu dem es ein Echtheitszertifikat gibt. Alle Erlöse des Nachverkaufs fließen vollständig an Hinz&Kunzt, die gemeinsam mit einer Hamburger Stiftung neuen Wohnraum für Obdachlose schaffen.

„Wir freuen uns sehr, über das große Interesse an der Homeless Gallery und den Lebensgeschichten ihrer Künstlerinnen und Künstler”, sagt Hinz&Kunzt Geschäftsführer Jörn Sturm. „Es zeigt, dass wir mit der Ausstellung einen Nerv getroffen haben und dass die Menschen unseren Einsatz für Obdach- und Wohnungslose schätzen. Natürlich sind wir sehr glücklich über den Erlös, den die Versteigerung eingebracht hat, und möchten uns herzlich bei allen Besucher*innen, Mitbietenden und Käufer*innen bedanken.”

Auch eine kleine Auswahl an weiteren Kunstwerken kann noch erworben werden. Der Nachverkauf-Katalog ist hier zu finden: