Die Kunst zur Geschichte
„Wieder aufgestanden“
Die Geschichte von
Boguslawa Lucynda G.
Mit 19 Jahren folgt für Boguslawa Schicksalsschlag auf Schicksalsschlag. Erst erhängt sich ihr Bruder. Wieso, das weiß sie bis heute nicht. Drei Monate später stirbt ihr Vater an einem Herzinfarkt. „Katastroph. Das war Katastroph“, sagt die 50-Jährige, heute noch immer sichtlich bewegt, in gebrochenem Deutsch. Bis dahin lebte sie unbeschwert mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern auf einem Hof nahe der Stadt Krosno im polnischen Karpatenvorland. Doch nun war alles anders. Boguslawas Schwester heiratete und zog mit ihrem Mann zusammen. Ihre Mutter war ihr Leben lang Hausfrau und schon im Rentenalter. Sich zu zweit ohne das Einkommen des Vaters durchzuschlagen, war hart. Doch immerhin: Weil sie auf ihrem Hof Tiere hielten und Gemüse anbauen konnten, kamen sie auch ohne viel Geld über die Runden.
Drei Jahre später zog Boguslawa mit Arthur zusammen. Ihn hatte sie zuvor kennen-und lieben gelernt und schließlich geheiratet. Die beiden bekamen drei Kinder, doch Arthur stellte sich schnell als „Arschloch“ heraus, wie Boguslawa heute unumwunden sagt. Er trank viel und schlug seine Frau – doch die ertrug die Ehe. Der Kinder wegen. Neben Erziehung und Haushalt, putzte sie in einem Krankenhaus und half bei Hochzeitsfeiern in der Umgebung in der Küche aus. Wie sie das alles aushalten konnte? „Musste ja“, sagt sie pragmatisch. Als die Kinder alt genug waren, musste aber nichts mehr. Sie reichte die Scheidung ein und verabschiedete sich in Richtung Hamburg, wo ihr entfernte Bekannte einen Platz zum Schlafen und eine Arbeit versprachen. Vor etwa zehn Jahren war das.
Doch bei der Arbeit in einem Pinneberger Imbiss bekam sie nur wenige 100 Euro, obwohl sie den ganzen Tag schuftete. Bei ihren Bekannten konnte sie zwar schlafen, allerdings auf dem Fußboden. Nach einigen Monaten packte sie ihre Sachen. Auf sich allein gestellt machte sie Platte und besorgte sich Essen bei Suppenküchen. „Halleluja – die Straße war schlimm“, sagt sie und fasst sich mit beiden Händen an den Kopf. Noch schlimmer wurde es, als die Temperaturen sanken und der Winter einbrach. Den verbrachte sie im Winternotprogramm, das damals noch in abrissreifen Hochhäusern in der Spaldingstraße untergebracht war. Schrecklich sei das gewesen. Voll, kalt und laut – an Erholung nicht zu denken.
Doch nach einigen Monaten auf der Straße und im Winternotprogramm verbesserte sich ihre Situation zumindest etwas. Schlafen kann sie bei echten Freunden. Nicht auf dem Boden, sondern in einem Bett. Außerdem verkauft sie Hinz&Kunzt. Das bringt ein kleines Einkommen und vor allem Kontakte. „Super“ seien ihre Kund:innen, sagt sie und fasst sich dabei mit großer Geste ans Herz. Regelmäßig bringen die ihr etwa auch warme Sachen für die kalten Wintermonate vorbei, erkundigen sich, wie es ihr geht. Ihr größter Wunsch? Gesundheit. Für sich, aber vor allem für die Kinder, mit denen sie den Kontakt hält – regelmäßig schreiben sie sich und schicken Fotos hin und her. Und falls es noch etwas sein dürfte: einen kleinen Hund.
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Credits:
Text: Lukas Gilbert
Foto: Mauricio Bustamante