Die Kunst zur Geschichte
„Von Fischen und Menschen“
Die Geschichte von
Thomas Merkel
Ich bin Hamburger, gebürtig und aufgewachsen.
Ob ich gläubig bin? Das ist eine schwierige Frage. Die kann ich so nicht beantworten. Jein. Ganz ehrlich, weil es so ein paar Sachen gibt. Da frage ich mich warum? Ich bin mit meiner großen Liebe, wir waren fast 25 Jahre zusammen, die ist in meinen Armen gestorben. Und da frage ich mich zum Beispiel, warum? Die hat niemandem was getan. Ganz im Gegenteil, die hat geholfen, wo sie konnte. Und dann? Es sind jetzt über vier Jahre her. Fast viereinhalb Jahre.
Meine Ausbildung zum Maler und Lackierer habe ich recht spät erst im Knast gemacht. Ich habe eine Ecke abzusitzen gehabt und da dachte ich mir, ich nutze die Chance, weil draußen bekommst du es eh nicht auf die Reihe. Das weiß ich, dafür kenne ich mich zu gut. Und wie gesagt, ich bin Junkie, muss ich dazu sagen. Zwar mittlerweile substituiert, seit jetzt ungefähr 17-18 Jahren ungefähr. Aber wie gesagt, wenn ich da jetzt ohne den Abschluss raus gegangen wäre, dann hätte ich das nicht zu Ende gemacht. Ich habe dafür damals auch auf meine vorzeitige Entlassung verzichtet und habe dann meine Gesellenprüfung zu Ende gemacht.
Meine Mutter hat in der Kneipe unserer Nachbarin dreimal die Woche gearbeitet und sonntags morgens immer auf dem Fischmarkt in einer Kneipe. Mit acht oder neun bin ich dann morgens runtergegangen und habe meiner Mutter in der Küche geholfen und je älter ich wurde, desto weiter kam ich nach vorne. War schon ein interessanter Job, da lernt man auch viel über die Leute.
Man lernt sie ganz dolle einzuschätzen. Zwar nicht jetzt 100 %, aber ich weiß schon, wie du einen Scherz machen kannst oder so oder ob du das lieber lässt. Es gibt überall Arschlöcher. Sag ich jetzt mal so, aber auch nette Leute. Ich versuche auch immer nett und höflich zu den Leuten zu sein, selbst wenn sie mich beleidigen.
Ich war auf Flucht und musste mir überlegen, wie ich an Geld komme. Und dadurch bin ich zu Hinz&Kunzt gekommen. Weil ich keine Lust hatte, irgendwelche krummen Sachen weiter zu machen, bei denen sie mich dann früher oder später erwischt hätten. Und das hätte ich dann noch obendrauf gekriegt. Sie haben mich nachher bei einer Sache noch erwischt, aber dadurch kam dann die etwas längere Strafe zustande und dadurch habe ich dann meine Ausbildung gemacht.
Ich verkaufe Hinz&Kunzt aus Überzeugung mit Herzblut. Weil es hilft mir ja und warum soll ich da irgendwelchen Scheiß mitmachen, das würde mir im Traum nicht einfallen. Mit Unterbrechungen sind das dieses Jahr im April 22 Jahre.
Ich habe dadurch auch Kontakt zu anderen Menschen. Und einige Kontakte oder viele Kontakte haben sich dadurch auch gefestigt. Und ich treffe mich regelmäßig mit denen. Oder wenn sie mich sehen, dann trinken wir zusammen Kaffee oder ein Bier. Oder laden mich zum Essen ein. Und das kommt auch nicht von ungefähr, weil wie gesagt, ich bin immer nett und freundlich zu den Leuten und wenn sie mich ein paar Tage nicht sehen oder so, dann fragen sie auch nach, „Habt ihr Thomas gesehen?“.
Meine eigene kleine Wohnung ist mein größter Wunsch. Alles andere steht erstmal hinten an bei mir, weil erst wenn ich die habe, dann kann ich weitersehen.
Gerade bin ich im Zelt. Den Platz verrate ich nicht, jedes Mal wenn ich darüber gesprochen habe, dann war spätestens am nächsten Tag meine Platte geräumt oder die Sachen zerschnitten.
Was mich glücklich macht? Ich freue mich darüber, wenn ich meine Stammkunden treffe, mich mit denen unterhalten kann, die sich auch Zeit für mich nehmen. Nicht nur einfach mir jetzt 2 € in die Hand drücken und Zeitung kaufen, sondern sich einfach mit mir hinsetzen, sich mit mir über ganz normale Sachen unterhalten. Darüber freue ich mich im Moment.
Meine Nummer ist die 2735.
Für mich ist der wichtigste Teil meiner Familie vor 4,5 Jahren in meinen Armen gestorben. Und auch meine Familie hat für mich eine wichtige Bedeutung. Ich habe noch Schwester und Bruder, und meine beiden Eltern leben noch beide. Obwohl es manchmal nicht ganz so einfach ist, vor allem mit mir, dem schwarzen Schaf der Familie.
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Audio-Interview:
Credits:
Text: Annette Woywode
Foto: Mauricio Bustamante