Die Kunst zur Geschichte
„Rote Karte, tot.“
Die Geschichte von
Reiner Rümke
Eine meiner schönsten Erinnerungen ist, als ich beim Papst Franziskus war. Vor sieben Jahren hatte er Arme aus ganz Europa eingeladen. Aus Deutschland waren wir etwa 800 Wohnungslose. Am Freitag hatten wir eine Privataudienz, und nur zwei durften ganz nah an den Papst ran. Einer war ich. Für mich war es sehr bewegend, weil ich ihm die Hand schütteln durfte. Ich habe ihm einen Brief und ein Halstuch vom Erzbischof von Hamburg gegeben. Und dann hat Franziskus gesagt: „Vielen Dank, ich bete für euch.“
Nach Hamburg gekommen war ich 1995. Anfangs habe ich eine Zeit lang in einem Hotel gewohnt, später haben sie mir ein Zimmer vom Sozialamt gegeben. Dann habe ich über den städtischen Unterkunftsbetreiber „Fördern und Wohnen“ in einem Männerwohnheim mit 120 Leuten gewohnt. Erst in den letzten fünf Jahren hatte ich dort ein Einzelzimmer. Es war nicht wirklich gut, denn es gab oft Reibereien und Konflikte – meist Schlägereien wegen Alkohol.
Seit 1997 verkaufe ich bei Hinz&Kunzt, seit sieben Jahren bin ich da angestellt, in Teilzeit. Und vor einiger Zeit bin ich ins Hinz&Kunzt-Haus gezogen. Wenn die Leute reinkommen und ihre Zeitung holen, bekommen sie einen Kaffee von mir. Oder wenn sie Klamotten wollen, gebe ich ihnen welche aus unserer kleinen Kleiderkammer.
Über Hinz&Kunzt habe ich auch eine Dauerkarte für den FC St. Pauli bekommen. Es gibt einen Fanclub, der einige Dauerkarten spendiert. Ich zähle zu den Glücklichen. Der FC St. Pauli wird immer mein Hobby bleiben. Da kann man von allem abschalten.
Mein größter Wunsch ist es, Wohnmöglichkeiten für alle zu schaffen. Damit die Menschen nicht auf der Straße schlafen müssen – da sterben so viele. Jeder braucht einen Rückzugsort, sei es nur ein Zimmer, so wie ich früher bei „Fördern und Wohnen“. Aber die Politik tut so wenig. Sie wollen, dass es bis 2030 keine Obdachlosen mehr gibt. Wie soll das denn gehen? Es gibt doch immer mehr von ihnen, nicht weniger. Jetzt sterben schon wieder zu viele. Viele von ihnen waren Menschen, die ich persönlich kannte.
Jetzt ist auf dem St.-Pauli-Weihnachtsmarkt wieder ein Mensch gestorben. Man hat ihn zwischen den Kisten gefunden. Angeblich auch ein Obdachloser. Es ist egal, woher er kommt, ob aus Polen, Bulgarien, Ungarn oder Rumänien. Es spielt keine Rolle. Aber so muss man nicht sterben. Zu viele. Einfach zu viele.