Die Kunst zur Geschichte
„Meine Insel“
Die Geschichte von
Gerrit Keitel
Ich habe meine ersten Schritte am Hund gemacht – andere Kinder ziehen sich am Tisch oder Stuhl hoch, ich habe mich am Hund hochgezogen. Das ist mein vierter Hund und auch mein letzter. Danach gibt es keinen mehr. Ich bin seit neun Jahren Rentner. Und ich möchte nicht so einen kleinen Pralinenfresser haben. Passt nicht so ganz.
Ich habe nicht vor, alt zu werden. Ich habe immer gedacht, mit 50 ist Schluss. Schon immer. Ich bin ein depressiver Borderliner. Da gab es mal eine Zeit, da hat man nicht bis 50 gedacht. Jetzt könnte ich mich schon hinreißen lassen, 55 zu werden.
Ich bin Flensburger, aber schon ewig in Hamburg. Seitdem ich 16 bin. Ich hatte keine besonders schöne Kindheit. Nein, dazu beantworte ich keine Fragen. Die Leute, die wissen, dass ich depressiver Borderliner bin, die können sich daraus vorstellen, was ich für eine Kindheit hatte.
Ich habe einmal Schlachter gelernt und einmal Erzieher. Schwere körperliche Arbeit und du hast immer etwas zu essen. Und ich meine, du siehst ja sofort, was fertig ist. So ein Architekt, der sitzt drei Wochen vor seinem Bildschirm oder früher noch auf Papier und hier ein Strich und da ein Strich, da kommst du nicht voran. Wenn aber das Kühlhaus auf einmal voll ist, dann siehst du das auch.
Ich hatte einen Arbeitsunfall, einen ziemlich schweren. Dann habe ich gedacht, ach ja Erzieher wär gar nicht so schlecht. Ich wollte erst in die Jugendarbeit, aber dann war ich zum Praktikum im “Come In” in Moorfleet. Kennst du die Einrichtung? Da sind 12-jährige Mädchen, die können dir auch detailliert über eine 2-jährige Straßenstrichkarriere berichten. Mit zwölf. Und dann wollte ich doch nicht mehr in die Jugendarbeit. Das war mir zu heftig, ich habe zu viel mit nach Hause genommen.
Ich bin dann halt richtig krank geworden. Meine damalige Freundin und ich haben uns getrennt. Ich habe nichts mehr auf die Reihe gekriegt. Und auf St. Pauli eine Wohnung zu haben… Dort sind die Wohnungen schnell begehrt. Dann war die Wohnung weg.
Das war eigentlich nur der Grund, warum ich zu Hinz&Kunzt gegangen bin. Aber mir macht es auch Spaß. Und Geld verdienen ist auch immer gut.
Ich hatte, als ich die Wohnung verloren habe, zum Glück noch genug Geld. Ich bin dann zum Globetrotter gefahren und habe mir auch eine vernünftige Ausrüstung geholt. Vernünftiger Rucksack, vernünftige Isomatte, vernünftiger Schlafsack und und und. Also ich bin nicht von jetzt auf gleich so halbnackt auf die Straße gegangen und habe mir einen Hund geschnappt. Es ging.
Ich habe mir einen Husky aus Toronto mitgebracht, ich habe Urlaub in Kanada gemacht. Und dann lief Papahund und Mamahund vorweg und dann sechs Kleine hinterher. Und dann kam eine siebte Kleine.
Ich kann prima auf einer einsamen Insel leben. Allerdings muss ein Hund dabei sein. Tut mir leid, aber darauf könnte ich nicht verzichten. Ich war als Kind schon gern alleine mit dem Hund im Wald, nur nicht zu Hause sein!
Ich lebe in der Natur, mitten in der Großstadt. Ein schöner Sonntag sieht so aus: bei Sonnenaufgang in Wittenberge und dann zu Fuß nach Övelgönne. Da sind morgens noch keine Menschen am Strand. Und wenn du Menschen triffst, dann haben die Menschen meistens Hunde.
Ich bin halt typisch norddeutsch. Ich kann auch gerne mal drei Tage lang die Fresse halten. Ich mag schlechtes Wetter, ich mag auch gutes Wetter. Einmal im Jahr muss ich ganz gerne mal in der Sonne in den Urlaub, was jetzt leider ausgefallen ist – die letzten Jahre. Am liebsten morgens Sonnenaufgang beobachten, dabei Kaffee trinken, irgendwann frühstücken, am Strand sitzen, Buch lesen. Aufs Wasser gucken. Ein oder zweimal rausfahren aufs Meer. Ansonsten nichts.