Die Kunst zur Geschichte
„Auf das Leben“
Die Geschichte von
Stanislav G.
Die Worte sprudeln nur so aus seinem Mund. Stanislav wirkt fröhlich und dynamisch. Kaum vorstellbar, dass dieser sportliche Mann vor zwei Jahren dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen ist. Damals bestand Stanislav nur noch aus Haut und Knochen. Er war alkoholkrank, obdachlos. „Ich habe jahrelang viel zu viel getrunken, meine Leber war kaputt“, sagt der 46-Jährige.
Zwei Schicksalsschläge veränderten dieses Leben: Im April 2019 starb Anna, seine Freundin und große Liebe. Noch nie zuvor habe ihm jemand so viel bedeutet wie sie, sagt Stanislav. Doch ihre Beziehung war begleitet von großen Mengen Alkohol – und so zugleich unheilvoll und ohne Zukunft. Anna starb an Leberversagen.
„Wenn du so weitermachst, kannst du gleich noch ein Loch für dich mitbuddeln“, habe ihm der Arzt kurz vor Annas Beerdigung gesagt. Er hätte fast recht behalten: Wenige Tage nach der Beisetzung brach Stanislav auf der Straße zusammen. Kein Leberversagen, sondern ein Hirnschlag. Elf Tage lag er im Koma.
Der Schmerz des Verlustes und die Angst ums eigene Leben. Bei Stanislav legte das einen Schalter um. Nicht einen Schluck Alkohol habe er seitdem getrunken. „Nicht mal zum Geburtstag“, sagt der gebürtige Berliner, und ein bisschen Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Dank medizinischer Betreuung und Medikamenten bekam er die Sucht in den Griff. Mehr als das: Stanislav ist weg von der Straße. Er lebt bei einem Freund und träumt von einer Wohnung für sich allein. Wenn möglich, würde er auch den Hinz&Kunzt-Verkauf gegen eine reguläre Arbeit tauschen. Dass diese nächsten Schritte schwer werden, ist dem Deutschpolen klar.
Schließlich liegt sein letzter Job weit mehr als zehn Jahre zurück. Damals habe er auf Hamburger Baustellen gearbeitet, erzählt der gelernte Tischler: „Immer selbstständig. Oft schwarz. Mehr als zwölf Jahre lang.“ Stanislav war trotzdem zufrieden, weil für ihn alles besser war, als in einem polnischen Dorf bei der Ernte zu helfen. Dieses Leben hätte er aber geführt, wäre er bei seinen Eltern geblieben, erzählt er. Die hatten in den 1980er-Jahren den kleinen Hof der Großeltern übernommen. Da weitermachen? Für den pubertierenden Jugendlichen ein Albtraum.
Als er 18 wird, macht sich Stanislav aus dem Staub. Er kommt bei Verwandten in Hamburg unter. Gab es keine Arbeit, machte Stanislav „zappzarapp“. Seine Worte unterstreicht er mit einer Handbewegung, die fremdes Eigentum in seine Hosentasche wandern lässt.
Mit Diebstählen und Alkohol habe er abgeschlossen, versichert er glaubhaft. Was ihm außer Wohnung und Arbeit noch zu seinem Glück fehlt? Stanislav wirkt überrascht, als würde er die Frage nicht ganz verstehen. Dann sagt er: „Meine Leber erholt sich. Das passiert selten, sagt mein Arzt. Ich habe also schon ganz, ganz viel Glück.“
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Credits:
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante
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